Автор работы: Пользователь скрыл имя, 24 Марта 2011 в 13:31, курсовая работа
Im Rahmen meiner Bakkalaureatsarbeit möchte ich mich mit dem Erstlingswerk Aleksandr Solženicyns Odin den’ Ivana Denisoviča beschäftigen.
In diesem Kapitel möchte ich mich der Erzählinstanz in Odin den’ Ivana Denisoviča widmen, mich also fragen, wer spricht den Erzähltext?
In einem Sachwörterbuch der Literatur wird der Skaz wie folgt definiert:
Skaz (russ., von skazat’ = erzählen), Gattung der russ. Erzählkunst: Rahmenerzählung als gerahmter, fiktiv mündl. Augenzeugenbericht, der dazu dient, in der Binnenerzählung die Ablösung der verbindl. russ. Literatursprache zugunsten der lebendigen Volks- und Umgangssprache mit exakten Mundartformen, Provinzialismen, Volksetymologien, individuellen Besonderheiten usw. zu rechtfertigen, und die Erzählung durch das Prisma volkstüml. Erzählperspektive und e. angemessenen Sprachwelt bricht. Von N. Gogol’ gepflegt, von Leskov in fast allen seinen Novellen zu bes. Höhe entwickelt. (Wilpert, Gero 2001: 761)
Beim Skaz wird also eine Sprache imitiert. Tendenziell ahmt der Erzähltext dabei eher eine sozial niedrigere Sprache nach, wodurch Ironie entsteht. Der Erzähler versucht also, die Sprache des Lagers, den Lagerslang nachzumachen. Trotzdem ist der Erzähler aber weder eindeutig Šuchov, noch der Autor selbst. Der Erzähler befindet sich zwar im Lager, kann aber Dinge wahrnehmen, die Ivan nicht wahrnimmt.
«Цезар [...] же с чудаком в очках, который в очереди все газету читал:
- Аа-а! Петр Михалыч! [...] Тот чудак:
- А у меня «Вечерка» свежая, смотрите! [...] И суется Цезар в ту же газету. А под потолком лампочка слепенькая-слепенькая, чего там можно мелкими буквами разобрать?
- Тут интереснейшая рецензия на
премьеру Завадского! ... Они, Москвичи, друг друга издаля чуют, как собаки. И, сойдясь, все обнюхиваются, обнюхиваются по-своему. И лопочут быстро-быстро, кто больше слов скажет. И когда так лопчут, так редко русские слова попадаются, слушать их – все равно как латышей или румын. (Solženicyn 1970: 103)
An diesem Beispiel lässt
sich sehr gut die soziale Markierung einzelner Passagen festmachen (kursiv
geduckt). Ivan scheint wohl nie Zeitung gelesen zu haben, denn ihm scheint
es schier unvorstellbar, solche kleinen Buchstaben entziffern zu können.
Wenn Cesar und sein Freund über Kunst sprechen, versteht Ivan nicht
einmal ihre Sprache, für ihn klingt es „als ob sich Letten oder Rumänen
unterhalten“. Hier erkennt man auch deutlich die Ironie, mit der der
Autor arbeitet.
Je nachdem welcher Erzähler gerade spricht, gibt es natürlich auch Unterschiede in der Sprache.
Durch den Modus werden
der Grad der Mittelbarkeit, also die Distanz zum erzählten Geschehen,
sowie die Perspektivierung des Erzählten, die Fokalisierung, ausgedrückt.
Es handelt sich bei Odin den’
Ivana Denisoviča um einen Erzähler in der dritten Person. Die
Wahrnehmung ist zu einem großen Teil an die Wahrnehmung Ivans gebunden,
das Bewusstsein Ivans dominiert den Text. Dadurch entsteht die von Dunn
so bezeichnete „Von-Innen-Heraus-Perspektive“
In Odin den’
Ivana Denisoviča wird die zerstörerische Wirkung des Lageralltags
angesprochen und Auswege aufgezeigt, die insbesondere Ivan, aber auch
die anderen Häftlinge gefunden haben, um dieser Zerstörung entgegenzuwirken.
Als Hauptthemen habe ich diejenigen herausgegriffen, die besonders anfällig
für eine solche Zerstörung durch den Lageralltag sind.
Der Lageralltag zerstört:
die Werte des Individuums (die Menschlichkeit und Moral), die zwischenmenschlichen
Beziehungen (die zwischenmenschliche Solidarität) und die soziale Ordnung.
Die Darstellung dieser Zerstörung ist aber nicht auf die konkrete Lagersituation beschränkt, sondern es werden immer wieder Blicke auf die gesellschaftliche Situation außerhalb dieser in sich abgeschlossenen Lagerwelt geworfen, unter dem Hinweis, dass auch die sowjetische Gesellschaft nicht von dieser Zerstörung verschont bleibt. Im Zusammenhang damit werden unter anderem die Politik der KPdSU, die Kunst und die Religion angesprochen.
Die Häftlinge werden
nicht nur physisch ihrer Kräfte beraubt, sondern vor allem psychisch
gemartert und demoralisiert. Ihnen wird jegliche Individualität genommen
und dem Einzelnen verbleibt keinerlei eigener Entscheidungsspielraum.
Diese Degradierung des Menschen erfolgt durch viele verschiedene Mittel,
ich werde hier nur einige davon nennen:
Alle Häftlinge werden
bei Ankunft im Lager „nummeriert“. Diese Nummern müssen gut sichtbar
an der Kleidung getragen werden und die Häftlinge werden mit diesen
Nummern gerufen. Die Nummern sind auch Ausdruck der Hierarchie im Häftlingssystem:
Je besser sichtbar die Nummer getragen wird, desto niedriger der Rang
im Lager. Der Sanitäter Vdovuškin beispielsweise hat zwar eine Nummer
wie jeder andere auch, diese ist jedoch nicht sichtbar an seiner Kleidung.
Ivan trägt die Nummer Sh-854. Von den Vorgesetzten werden die Häftlinge
in der beleidigenden Du-Form (ty)
angesprochen, sie müssen jedoch mit der Höflichkeitsform (vy)
antworten.
Grundsätzlich spielt das Tiermotiv eine nicht unbedeutende Rolle, auch die Häftlinge vergleichen sich gegenseitig mit Tieren oder beschimpfen sich mit Tiernamen. Ein weiteres Mittel, den Häftlingen jegliche Würde und Selbstachtung zu rauben ist, sie wie Tiere zu behandeln. Sie werden beispielsweise wie ein Rudel Tiere zur Baustelle „getrieben“ und werden dabei von Hunden bewacht, wie eine Herde Rinder. Das Beachtenswerte dabei ist, dass diese Behandlung die Häftlinge selbst dermaßen beeinflusst, dass sie sich auch wirklich wie Tiere zu verhalten beginnen. Dieses triebgesteuerte Verhalten ist besonders gut beim Essen erkennbar. Dort wird ohne jegliche Manieren das Essen in sich „hineingestopft“, die Schüsseln der Anderen ausgeleckt und Essen gestohlen.
Wie bereits angesprochen,
wirkt sich das Verhalten der Vorgesetzten zu den Häftlingen auch auf
deren Beziehung zueinander aus. Die Verhaltensmuster der Vorgesetzten
werden von den Häftlingen übernommen, die Degradierung sitzt so tief
in ihrem Bewusstsein, dass sie dieselben Degradierungsmittel selbst
verwenden zu beginnen. Wärter sprechen die Häftlinge beispielsweise
grundsätzlich mit ihren Nummern an. Dieses Verhaltensmuster wird unbewusst
von den Häftlingen übernommen - auch sie sprechen sich teilweise mit
ihren Nummern, beziehungsweise in der ty-Form an.
Im Lager herrscht das
Motto „Jeder ist sich selbst der Nächste“, trotzdem ist die Gemeinschaft
in einer Brigade ein wichtiger Aspekt im sozialen Leben eines Häftlings.
Sie ist wie eine Familie, alle müssen mit anpacken, denn immerhin hängen
die Essensrationen von der Leistung der gesamten Brigade ab (vgl. Solženicyn
1999: 75). Aber auch innerhalb einer Brigade gibt es diejenigen, die
mit Hochachtung und Respekt behandelt werden, und diejenigen, denen
man mit Misstrauen und Antipathie entgegentritt (wie Fetjukov, dem Schakal).
Die Fähigkeit, überhaupt noch irgendetwas für die Mithäftlinge zu
empfinden, ist schon ein Zeichen, dass die Zerstörung noch nicht allzu
weit fortgeschritten ist.
Je mehr sich aber die Häftlinge gegenseitig wie Verbrecher begegnen, sich gegenseitig unmenschlich und respektlos behandeln, desto mehr degradieren sie sich damit selbst. Wenn aber ein Häftling sich gegenüber seinen Mitmenschen respektvoll verhält, wird er diesen Respekt in gewisser Weise auch zurückbekommen und sich so seine Selbstachtung erhalten.
Bereits zu Beginn von
Odin den’ Ivana Denisoviča heißt es: „Hier herrscht das Gesetz
der Taiga“ (Solženicyn 1999: 18). Übliche gesellschaftliche Regeln
haben im Lager keine Geltung. Die Gesetzlosigkeit des Lagers drängt
die Häftlinge so natürlich in eine vollkommen machtlose Position.
Die Gesetze des Lagers (so wie auch die sowjetischen Gesetze vgl. Solženicyn
1999: 80) werden willkürlich erlassen, abgeändert und entbehren meist
jeglicher Sinnhaftigkeit. So gibt es zum Beispiel die vollkommen sinnlose
Regel, dass sich die zeki nur in Gruppen von Vier bis Fünf im Lagergelände
bewegen dürfen (vgl. Solženicyn 1999:153). Hier zeigt sich wieder
ganz deutlich, dass dem Individuum jede Individualität genommen wird,
und es nur mehr um die Gruppe geht. Weiters werden die Haftzeiten willkürlich
verlängert, oder die Häftlinge einfach nach Abbüßen ihrer Strafzeit
nicht freigelassen (vgl. Solženicyn 1999: 81).
Ein ironisches Moment erhält die Enthüllung der Gesetzlosigkeit dadurch, dass Ivan behauptet, es gehe in diesem Lager noch ziemlich ordentlich und gesittet zu, im Vergleich zu vielen anderen (vgl. Dunn 1988: 40).
„Macht euch nichts vor, Jungs, hier ist’s einfacher“, sagte er in seiner drolligen Art […] „Hier macht ihr jeden Tag um dieselbe Zeit Sense. Norm erfüllt oder nicht - Einrücken ins Lager. Und die Grundration 200 Gramm. Man kann leben. Was ist also Sonderlager? Stören euch die Nummern? Oder? Die zählen doch nichts.“ (Solženicyn 1999: 84)
Es soll aber nochmals darauf hingewiesen werden, dass alle diese Entwicklungen, im Speziellen auch die Willkür, mit der Gesetze erlassen wurden, nichts dem Lager Eigenes ist, sondern vielmehr eine allgemeine Entwicklung der sowjetischen Gesellschaft darstellt. Lager und Gesellschaft stehen so in enger Verbindung miteinander.
Ich habe hier versucht,
alle Motive zu sammeln, wie die Häftlinge ihre eigenen Auswege aus
der zerstörerischen Wirkung des Lageralltags finden. Natürlich gibt
es einige, die sich keinerlei Ausweg bedienen, diejenigen werden dann
sozusagen vom Lageralltag „aufgezehrt“ und werden ihre Haftzeit
möglicherweise nicht überleben. Sehr treffend formuliert dies Ivans
ehemaliger Brigadier Kusemin, ein abgebrühter Lagerhase, an dessen
Worte sich Ivan ganz zu Beginn er Erzählung erinnert: „[…] Zuerst
kratzen die ab, die die Fressnäpfe auslecken, die aufs Krankenrevier
rechnen oder die einen verpfeifen.“ (Solženicyn 1999: 18) Alle jene,
die sich ihrer Menschlichkeit berauben lassen, jene die jegliche Moralvorstellungen
und Werte ablegen, jene die sich selbst zu Tieren machen lassen und
sich nur mehr von ihren Trieben leiten lassen, diejenigen werden also
das Lager nicht lebend verlassen. Möglicherweise können sie das Lager
überleben, körperlich, aber auf geistiger Ebene werden sie auf jeden
Fall innerlich absterben.
Das, worauf die Aussage
Kusemins anspielt, möchte ich das Gesetz des Lagers nennen. Ivan kennt
das Gesetz des Lagers, er weiß wie er sich verhalten muss, um zu überleben.
Er weiß, dass er sich beim Filzen, bis auf die Unterhose ausziehen
muss, wenn es von ihm verlangt wird, sei es auch gegen das Gesetz, wie
Bujnovskij erklärt und sich damit zehn Tage im Bunker einhandelt (vgl.
Solženicyn 1999: 49). Er weiß auch, dass er sich höflich verhalten
muss, wenn ihn ein Wärter alleine auf dem Lagergelände sieht, und
er weiß, dass er sich seine Nummern auf der Kleidung nachmalen lassen
muss, auch das könnte ihn in den Bunker bringen, der wiederum könnte
ihm den Tod bringen.
Besonders Ivan versucht,
gewisse Regeln des zwischenmenschlichen Umgangs beizubehalten und seine
Mithäftlinge mit Respekt zu behandeln. Dadurch kann er sich seine eigenen
Moralvorstellungen erhalten und behält seine Selbstachtung. Ein gutes
Beispiel dafür ist die Art, wie er seine Mithäftlinge adressiert:
Er spricht niemanden mit seiner Nummer an, und vermeidet auch das meist
abfällig und respektlos gebrauchte ty. Mehr noch, Ivan spricht
seine Kollegen mit Vorname und Vatersname an, was als eine überaus
respektvolle Form der Anrede gilt.
Ivan entzieht sich auch
des entwürdigenden Essverhaltens, das viele seiner Mithäftlinge pflegen.
Er macht jede Mahlzeit zu einem ganz besonderen Ritual, einerseits um
bewusst zu essen, denn jeder bewusst gekaute Bissen sättigt mehr als
ein herunter geschlungenes Mahl, andererseits, um sich seine Würde
zu behalten und sich nicht auf das Niveau eines Tieres zu begeben. Ivan
nimmt immer seine Kappe ab zum Essen, er legt das Stück Brot auf einen
eigens dafür gewaschenen Lappen und er isst auch keine in der Suppe
frei herum schwimmenden Fischaugen, sehr zur Erheiterung seiner Kollegen.
Alle diese kleinen aber doch so wichtigen Rituale helfen Ivan seine
Selbstachtung zu bewahren und auch eine Mahlzeit im Lager, mag sie auch
noch so spärlich sein, wie ein Festmahl zu genießen.
Auch andere Figuren finden
ihre Wege, mit der psychischen Zermürbung durch das Lagerleben klarzukommen,
beziehungsweise, ihr entgegenzuwirken. Aleša beispielsweise hilft sein
tiefer Glaube zu Gott, der ihn niemals an der Sinnhaftigkeit seines
Daseins im Lager zweifeln lässt.
Fetjukov hingegen ist
das eindeutige Beispiel für einen zek der bereits jegliche Moral aufgegeben
hat. Er ist hinterhältig, rücksichtslos und skrupellos. Er ist sowohl
von seiner Arbeit, als auch von seinen Mitmenschen, ja sogar von sich
selbst bereits so weit entfremdet, dass er dem Leser wie eine Hülle
vorkommt, die nur mehr ums (körperliche) Überleben kämpft aber deren
Inneres, deren Seele schon lange tot ist.
Ein anderer wichtiger
Aspekt zum Erhalt der Selbstachtung ist die Einstellung zur Arbeit im
Lager (näheres dazu unter Punkt 12.1. „Arbeit als Überleben“).
Grundsätzlich kann man sagen, ist es das Wichtigste, sich seine Moralvorstellungen und Werte zu bewahren und nicht selbst zu erniedrigen. Natürlich ist genau dies das Schwierigste, denn jeder kämpft im Lager ums Überleben, auch wenn dies auf Kosten der Anderen geschieht, und genau diese Rücksichtslosigkeit ist bereits schon ein Wegwerfen der Moralvorstellungen und eine Zerstörung der sozialen Ordnung und in weiterer Folge, Selbstzerstörung.
Grundsätzlich wird die
Rolle des Künstlers sehr ironisch und zynisch dargestellt. Ehemalige
Künstler pinseln im Lager Nummern auf die Kleidung der Häftlinge oder
malen Porträts ihrer Vorgesetzten (vgl. Solženicyn 1999: 32).
Dunn beschreibt die Rolle
der Kunst wie folgt: „Dies ist die reductio ad adsurdum der Kunstpolitik
der kommunistischen Partei!“ (Dunn 1988: 43).
Am Beispiel des ehemaligen
Studenten der Literaturwissenschaft Vdovuškin wird die Problematik
des Künstlertums in der Sowjetunion angeschnitten. Vdovuškin arbeitet
jetzt als Sanitäter in der Krankenstation des Lagers und schreibt nebenher
Gedichte. Sein Vorgesetzter, Stepan Grigorjevič, hatte ihm aufgetragen
die Gedichte zu schreiben, die außerhalb des Lagers nicht geschrieben
werden hätten können. „Stepan Grigorjewitsch war daran gelegen,
dass er hier das Zeug schrieb, das er „draußen“ nicht schreiben
konnte.“ (Solženicyn 1999: 37) Der Künstler kann also im
Lager freier arbeiten, als er es „draußen“ tun könnte. Derselbe
Grigorjevič glaubt aber gleichzeitig an „Arbeit als Heilmethode“,
er befand, auch die Kranken sollten leichte Arbeit (schwere Wasserkübel
schleppen) verrichten. So hat offenbar auch der Doktor verschiedene
Auffassungen was Arbeit eigentlich ist (vgl. Dunn 1988: 43).
In derselben Szene kommt
aber auch Ivans persönliche Einstellung zur Kunst zum Ausdruck: „Er
[Vodvuškin] machte wirklich etwas aus der Reihe, etwas, womit Šuchov
nicht viel anfangen konnte.“
(Solženicyn 1999: 36) Ivan empfindet das Verfassen eines Gedichts also
nicht als „Arbeit“ sondern als „etwas aus der Reihe“ das man
nicht so ernst nehmen kann.
Der Chefredakteur der
Zeitschrift Novy Mir meinte, in Odin den’
Ivana Denisoviča werden zum ersten Mal Intellektuelle durch die
Augen von „normalen“ Menschen gesehen, nicht umgekehrt, so wie es
zu der Zeit in den meisten Werken geschah (vgl. Klimoff 1997: 15).
Solženicyns eigene Einstellung zur Kunst beschreibt Dunn sehr treffend:
Für Solženicyn ist die Kunst viel mehr als die Widerspiegelung einer anderen Wirklichkeit, sie ist eine selbständige Realität und eine Äußerungsform des Menschen als eines von Gott geschaffenen, moralisch begabten, geistig und geistlich befähigten Geschöpfs. Die Kunst ist für Solženicyn ein Geschenk Gottes […] Die Kunst reflektiert Qualitäten und Gesetzmäßigkeiten, die unabhängig von der gegebenen Situation allgemein gültig sind. (Dunn 1988: 101)
Der Hauptvertreter des
Christentums ist Aleša. Er wird von Ivan und den Anderen geachtet und
akzeptiert wegen seiner Moral. Ivan selbst glaubt zwar grundsätzlich
an Gott, sein Glaube ist ihm aber im Lageralltag keine Hilfe. Er glaubt
nicht daran, dass Gott ihn hierher gebracht hat, wie es Aleša tut.
Mit dieser Darstellung der Religion widerspricht Solženizyn nicht der sowjetischen Ideologie, in der die Religion keinerlei Stellenwert hatte.
Wie bereits angesprochen geht es dem Autor nicht nur um die Darstellung eines Tages im Lager und um das Aufzeigen der dort Vorherrschenden Grausamkeit, Brutalität und Gesetzlosigkeit, sondern gleichzeitig soll auf die Entwicklung in der realen Gesellschaft aufmerksam gemacht werden. Die Existenz solcher Lager wird nicht als etwas Besonderes, Außergewöhnliches dargestellt, sondern es wird aufgezeigt, dass außerhalb dieses abgeschlossenen, von der „wirklichen Welt“ abgeschotteten Bereichs Entwicklungen passieren, die mindestens genauso erschreckend sind, wie ein Tag im Leben eines Häftlings. Konkret angesprochen werden dabei unter anderem die verfehlte Staatspolitik Stalins: Seine Landreform brachte dem Volk vor allem Hungersnöte und Armut. Ivan erzählt in diesem Zusammenhang von der Situation in seinem Dorf. Kaum einer arbeitete noch im Kolchos mit, die meisten lebten zwar nach wie vor dort, verdienten sich ihr Geld aber außerhalb:
Die Hälfte der Kolchosniks war nach dem Krieg nicht zurückgekehrt, und wer zurückgekommen war, wollte mit dem Kolchos nichts zu tun haben – sie lebten dort, verdienten aber ihr Geld irgendwo außerhalb. (Solženicyn 1999: 55)
Eine andere Entwicklung,
die Solženicyn anspricht, ist die zunehmende Gesetzlosigkeit, die nicht
nur im Lager vorherrschend ist. Sehr genau wird die Gesetzlosigkeit
des Lagers beschrieben, aber gleichzeitig wird der Leser darauf hingewiesen,
dass Gesetzlosigkeit, Willkür und Machtlosigkeit des Einzelnen keine
Eigentümlichkeit des Lagers darstellt, sondern vielmehr in der sowjetischen
Gesellschaft zur Normalität geworden ist. Völlig an den Haaren herbeigezogene
Anklagen, Gerichtsurteile aufgrund von unter Druck abgegeben Geständnissen,
sowie willkürliche Verlängerungen von Haftzeiten – all dies gehört
mittlerweile zum sowjetischen Alltag. Und das Schlimmste dieser Entwicklung
ist, dass all diese Verbrechen und Gesetzlosigkeiten im Namen eines
Ideals begangen wurden.
Weiters klagt Solženicyn an, dass gute, sowjetische Soldaten, Soldaten die Auszeichnungen und Tapferkeitsorden erhalten hatten (wie Šuchov), vom eigenen Staat zu Kriminellen gemacht wurden. Sie kehrten aus dem Krieg, in dem sie für ihr Land kämpften als Verbrecher zurück. Mindestens ein Viertel der Männer einer Brigade war wegen „Spitzelei“ im Lager gelandet. Meist bedeutete das, dass die Männer irgendwie in Kontakt mit ausländischen Soldaten, oder vielleicht überhaupt nur mit Ausländern gekommen waren – sei es durch Kriegsgefangenschaft oder durch gemeinsamen Dienst auf einem Schiff (wie der Kapitän in Šuchovs Brigade). So erging es auch Ivan und Sen’ka. Sie gerieten in deutsche Gefangenschaft, konnten fliehen und kehrten dummerweise zu ihren Leuten zurück. Daraufhin wurden sie als Spitzel verhaftet und zum Dienst im Lager verurteilt. Solženicyn selbst wurde verhaftet weil man in seinen Sachen Briefe mit angeblich stalinkritischem Inhalt gefunden hatte.
Информация о работе Arbeit als Überleben in Odin den’ Ivana Denisoviča